Nische und Lebensbaum als Motive der Textilkunst (Symposium In Würzburg)
Nische und Lebensbaum als Motive der Textilkunst (Symposium In Würzburg)

Nische und Lebensbaum als Motive der Textilkunst (Symposium In Würzburg)

Über Ort und Ursprung künstlerischen Tätigwerdens des Menschen von frühester Zeit an können Sie Grundsätzliches meinem Artikel über die Textilkunst entnehmen, wie sie zur Zeit in der Galerie Kelim in Würzburg („Aus Zelt und Dorf“) präsentiert wird.
Es ging immer nicht nur um den Bedarf materieller Güter zum Leben (wie zB zum Wohnen, zum Kleiden), sondern wurzelt in Lebensgefühl, Eingebundensein im Lebensablauf und Jahresablauf, Weltsicht und Transzendenz-Ahnung
und kommt aus dem inneren Drang, sich mit dem bildlich zu umgeben (siehe Höhlen-und Felsmalerei), dies sich bildlich reproduzierend vor Augen zu halten. Der Drang zum Schönen, zum Schmuck bis hin zum Luxus ist Ausdruck aus dem Innersten heraus: was nehme ich auf, was gestalte ich kreativ-innovativ um und aus.
Bloß farblose und bildlose Fell-, Flecht- und Webwerke sind ein Ansatz (Zweck), aber nicht ausreichend.

Nun der versprochene Bericht über das Symposium dort im September zum Thema „Nische und Lebensbaum“ – denn das waren und sind zwei wesentliche Motive im bildhaften Gestalten, Symbole uralten religiösen schamanistischen Inhalts in ganz Eurasien und somit vorislamisches Erbe. Der Referent des Einführungsabends (Dr. Arpad Stephan Andreànszky aus der Schweiz)
ging in einer ersten Sequenz diesen Spuren nach: Weltenbaum, Himmelsleiter der Alttürken neben anderen Motiven. „Nun wurden sie immer wieder neu kombiniert und reizvoll abgewandelt und gewinnen dadurch neue Bedeutungen und ästhetische Wirkungen.“ Stilisierung, Einzeleinsatz und Kombination und Zahlensymbolik (7 und 9) sind dabei Gestaltungsmittel, in den verschiedenen Kulturen und Kunstgebieten unterschiedlich (Mesopotamien, Ägypten, Pazyryk, Sibirien, mit Zeitsprung zur Völkerwanderung in Osteuropa, zu den Germanen, in die islamische Welt Nordafrikas und Spaniens und zu den Abwandlungen im christlichen Raum).
Der Lebensbaum lässt sich bis ins 3. Jts v. Chr ins Zweistromland zurückverfolgen (Weltenberg mit Baum und sich von ihm nährender Ziege in Ur), geht dann früh in eine Dreierstruktur über (Hauptfigur und zwei flankierende Figuren: Quelle mit 2 Bäumen/Baum mit 2 Tieren/zentrale menschliche oder tierische Figur von anderen Lebewesen flankiert).
Wesentlich sei, daß der Lebensbaum immer als Lebenssymbol zu sehen ist. Dann geht er auf die textilen Varianten in ihrer reichen Vielfalt ein (zB reduziert auf Weltachse/vielleicht Totempfahl; Pfauen stehen für Unsterblichkeit; dreifach übereinander erhöht die Wirkung; 12 Früchte oder Blüten für den Jahreslauf; 2 Hasen für Fruchtbarkeit; Sträucher sprießen aus Vögeln – bis zu neuester Kriegsbedrängnis).
Nach einem Exkurs über das Fell als heiliger Ort (wohl älteste Form) geht der Referent auf die Reihengebetsteppiche ein,

auf die
Mihrab-Formen (mit Kombinationen und Überlagerungen), auf die Spezialform Wasser und Baum, auf das Thema Weltberg/Weltnabel und Weltenbaum (mit Spezialausprägung in Erzurum Mitte 19. Jhd, aber auch anderen Gebieten).
In der Zusammenfassung wertet er den Lebensbaum älter und universeller als den Mihrab, der als architektonisches Muster in den Teppich komme, aber durch vegetabile Formen immer stärker Wachstum, Leben Geburt und Tod hervortreten lasse (bis zur Grabsteinform hin).

Der sog. Gebetsteppich sei damit faktisch zum Symbol für islamische Kunst schlechthin geworden.

Zum Thema „Nischen-Kelims: Typen und Thesen“ sprach am 2.Tag Michael Plötze. Er präsentierte das mühsam gesammelte Material (Archäologisches: 9.-10.Jh.v. Chr; Hatuscha; Petra; Hagia Irene Istanbul; Ägypten 17.Jh; europäische Felsnischen usw) und die von Forschern und Sammlern aufgestellten Theorien und Thesen, enthielt sich aber bewußt einer Bewertung. An Beispielen wurden die vorliegenden Umsetzungen in die weitestgehend als Gebetskelims (wirklich nur für Gebet?) einzuordnende Textilkunst vorgestellt (zentriert auf die äussere Gestaltung und die Attribute der Nischen – der Innenraum ausgespart), auf Sonderformen von Nischen eingegangen.
(Leider liegt mir kein Text vor, meine Notizen sind leider nahezu unentzifferbar,
sodaß ich nun folgend ohne Bezug auf das Referat aus Eigenem zu dem Thema Stellung beziehen muss:)
Bei „Nische“ wird meist als Synonym primär „Höhle“ herangezogen – aber d e r homo sapiens, der auf der offenen Savanne gelebt hat, konnte sich höchsten aus dem vorhandenen vegetabilen Material einen Unterstand bauen als Lebensraum/Schutzraum. Diesen konnten von Natur aus vorhandene Fels-Überhänge („Abris“ in der Fachsprache) und kleine Aushöhlungen bieten, damit auch schützende Rückenfreiheit,
sodass als Synonyme eher „Dach“, „Gewölbe“ (bevorzugt gerundete Form) naheliegend sind – mit dem Schritt zur Weltsicht und Transzendenz im „Himmelsgewölbe“ (Man beachte die Weiterentwicklung in Religionen zu „Schirm“ und „Baldachin“. Eine Höhle ist ja auch 6-dimensional begrenzt, nur zu einer Seite im Zugang geöffnet
– was symbolisch eher zur „Erdtiefe“, „Mutter Erde“ führen würde, mit Omphalos/“Nabel“ als öffnender Geburtsweg bzw Zugang).

Aus dem Ort von Schutz mit Geborgenheit, der Sicherheit (Ort der Erwartung, des Segens) her kann sich ein Ort der Hinwendung,
der Blickrichtung und somit der Konzentration nahelegen,
kann sich daraus ein Platz für das Objekt einer Verehrung, des Kultes ergeben, den man dann herstellt, erbaut – und auch abbildet, den man mit sich mitführen kann (vgl. islamisch Gebetsteppich, christlich Herrgottswinkel/Hausaltar).
Auch apotropäische Beifügungen liegen dann in der Linie der Weiterentwicklung.

Zurückkommend wieder auf das Symposion, das mit dem dritten Referat „Nische und Lebensbaum – Symbole in antiken Knüpfteppichen und Flachgeweben“ von Jörg Affentranger (Schweiz) fortgesetzt wurde, dessen Sammlung sich bekanntermaßen aus dem Bereich Ost-Iran/Afghanistan/Pakistan rekrutiert (grob gesagt Belutschen, turkmenische Sippen): Am wertvollsten waren nach der Übersicht im Referat die reichlichen Originalbelege,
die er am Sonntag im abschließenden Show-and-Tell präsentierte.

Diese Präsentationen , auch der Teilnehmer und des Hausherrn/Organisators, gezielt ergänzend und in seiner Ausstellung inklusive seiner Führungen (mit Anmerkungen anwesender Experten) haben sich als ein wesentlicher Bestandteil des Symposions erwiesen.

Die nächste Ausstellung „Symbol und Farbe – Textilkunst aus 4 Jahrhunderten“ ist für Dezember geplant (bis März 2021; die Themen Salztaschen (8, dazu andere Taschen) und Jajim (8 + 2 Cicim),/Streifenkelim,
sind schon als Schwerpunkte präsent, andere Kelims und Teppiche liegen bereit. Was aus der Corona-Situation letztlich für Interessenten vor Ort zugänglich sein wird, ist nicht abzusehen –
über Facebook aber sowohl einsehbar als auch bestellbar.
Auch das nächste Symposion ist in konreter Vorbereitung: „Tier- und Zeltschmuck“ vom 30.4. bis 2.5.2021 – aber es wird wohl wieder September werden).

MünchenBlick/ Walter Schober (mit Dank an Hr. Andreansky für die Überlassung der Textunterlage, ein Beitrag von Hr. Plötze ist zugesagt)

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